Blechkuchen – Mach’s nicht wie der Bäcker!

In Hamburg Eppendorf liegt ein Cafe, in dem ich seit 2005 sicherlich über tausend Euronen losgeworden bin. Für Blechkuchen. Damals war der Kuchen für mich (und alle, die seiner habhaft wurden) eine Offenbarung. Unten sabschig, in der Mitte fruchtig und oben karamellig, süß, knusprig. Und “rich” im besten Sinne.

Der Blechkuchen meiner Mutter faszinierte zwar die Nachbarschaft, ich mochte ihn nicht besonders. Er hatte die Attitüde des Nachkriegskuchens. Den Fettanteil lieferte meist eine billige Margarine, auch an Zucker wurde gespart. Für mich war er höchstens heiß aus dem Ofen essbar.

Ganz das Gegenteil lieferte der Eppendorfer. Purer Luxus. Buttrig, briocheartig, feucht, duftend voll, vanillig mit Karamellnoten. Natürlich gab Ulrike, die Chefin, das Rezept nicht preis. Die Lösung: Der Arbeitsplatz des Bäckers war offen einsehbar, Ich platzierte mich also davor, nahm über Wochen mehrere Koffeinvergiftungen in Kauf und zählte Butter, Eier, Mehl- alles, was in den Kneter wanderte.

Zu der Zeit hatte meine Backerfahrung enge Grenzen, ich wusste nahezu nichts über Hefeteige und süße Bäckerei. Deshalb war der Weg der Erkenntnis mühsam und nicht zufriedenstellend. Nach langer Zeit besuchte ich das Cafe Mitte August 25 wieder. Heute ist es mir ein Leichtes, das Rezept einzuordnen, zu kategorisieren und nachzubacken. Mit der Bäckermeisterin an meiner Seite wurden die Bestandteile kurz durchdiskutiert, analysiert, der Kuchen 2x gebacken und das Rezept steht. Jede Besonderheit ist berücksichtigt und auch eine Kitchen Impossible- Jury könnte keinen Unterschied zum Original feststellen.

Kurz zum einleitenden Satz: “mach’s nicht wie der Bäcker”: seit Jahren vereint meine Leidenschaft, Bäckereien zu erkunden und Lieblingsgebäcke der Beschäftigten zu testen, Beruf und Freizeit. Immer entschiedener und ernüchterter fällt mein Urteil aus. Der erfolgreiche Bäcker spart. An allem. Zeit, Zutaten, KnowHow. Und nimmt’s vom Lebendigen. Das soll kein Verdammnis-Urteil sein, sondern eine nüchterne Tatsachen-Beschreibung. Das ganze ist gesellschaftlich gewollt- und dem sparsamsten Bäcker blüht der wirtschaftliche Erfolg. Die Marketing-Heißluft tönt überall gleich, der ungeschulte Verbraucher ist nicht in der Lage, Unterschiede zu erschmecken. Umso entschiedener rufe ich aus: Selbermachen! So schlecht, wie vom Bäcker ums Eck kann es gar nicht werden- mit bon’gu- Zutaten und bon’gu-KnowHow.

Zutatenübersicht

Zutaten für das Gesamtrezept auf 500g Mehl im Hauptteig. Die Rezeptmenge ist ausgelegt für ein Haushaltsofen-Blech.

Streusel

Planungsbeispiel

Gesamtzubereitungszeit:

ca. 4 Stunden, inkl. Ruhezeit

Tag 1

10:00

Hauptteig auskneten, 24°C – 25°C

10:15 – 12:00

Ruhezeit (25°C), Streusel vorbereiten, 

12:00 – 13:00

Teig auf Blech ausrollen, dann Ruhezeit

13:00 – 13:30

Saftbinder auf Teig auftragen, mit Obst belegen und mit Streuseln überziehen

13:30 – 14:15

Backen

Das Rezept - Blechkuchen Petit Cafe, Hamburg Eppendorf

Teig

70g Zucker

20°C

5g Salz

80g Dario (aus dem Kühlschrank, wenn nicht älter als 3 Tage)

5g Frischhefe

4°C

280g frische Vollmilch

4°C

1 Ei

70g Butter

  1. Bis auf die Butter alles zusammen glatt auskneten, dann weiche Butter unterkneten.

  2. 90 bis 120 Minuten Teigruhe bei 25°C

Streusel

150g kalte Butter

4°C

125g brauner Zucker

20°C

1 Prise Salz

  1. Für diesen Pate Brisee alles mit 2 Messern zerhacken oder mit kalten Fingern mischen.

    Maschinenarbeit funktioniert auch- der Teig soll nicht zusammenkommen, keine Glutenstruktur ausbilden. Deshalb rasch arbeiten und den Teig kalt bleiben lassen.

  2. Bis zur Verwendung kalt stellen

Aufarbeitung & Backen

1

Teig auf einem gebutterten Blech ausziehen, igeln/ einstechen, 60 Minuten aufgehen lassen.

Obst nach Wunsch vorbereiten, ca. 1000g entkernt.

2

Mit Zwieback- Bröseln als Saftbinder bestreuen, dann mit vorbereitetem Obst belegen, evtl. mit Zimtzucker bestreuen- je nach Obstreife und Süßeerfordernis.

Mit Streuseln überziehen.

3

 Backen: Bei 200°C Ober-/Unterhitze für 35 bis 45 min backen, evtl. auf 180°C reduzieren.

Schellis Urteil

Unbedingt zu Hause backen- und das eigene Rezept zu den Akten legen. Der traditionelle Blechkuchen ist von schlichter Herkunft. Ohne Luxus, ohne Sünde. Wer will das? 

Häufigste Grundlage des Blechkuchens, überall zu haben, ist der einfache Hefefeinteig mit großen Hefemengen, ohne Gärverzögerung und meist mit Margarine als Fettbestandteil. Schmeckt wie nasse Pappe mit Röstaromen und altem Kuchenblech.  Das verschlechtert immer den Gesamteindruck des Kuchens.

Die hier vorgestellte Alternative macht den zu Recht in Vergessenheit geratenen Blechkuchen wieder hoffähig. Wunderbar reich, flaumig, buttrig duftend, ein bisschen sabschig. Und als Höhepunkt die knusprig-karamelligen, leicht zerlaufenen Streusel. Ihr Geheimnis ist das Übermaß an braunem Zucker, nur dadurch bekommen sie 

  1. Ihre karamellige Note
  2. Ihre knusprige Konsistenz


Und verleihen dadurch dem ganzen Kuchen seinen USP (Unique selling point, ungefähr: Unverwechselbarkeit). Im Petit Cafe wird ein Blech (lt. Website, 30.8.25) für €100,- verkauft. Wer sich nicht durchringen kann, dem Originalrezept zu folgen, wird das Tor der Erkenntnis nicht aufstoßen. Der Kommentar wird dann abgeschwächt lauten: “Geschmeckt hat es trotzdem…”, jedoch die Erfüllung, das Gefühl, angekommen zu sein, wird weiterhin fehlen.